Der Bundestag hat am 30.06.2017 die Reform des Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetzes verabschiedet — künftig dürfen Wissenschaft und Bildung 15 Prozent eines Werkes frei verwenden. Kritik gibt es trotzdem.
Freitag war Schrankentag. Kurz nachdem der Bundestag in aller Frühe die Ehe für alle beschlossen und damit die Schranke der Ungleichberechtigung zu Fall gebracht hatte, führte er eine neue Schranke ein: die Wissenschaft.
Damit wird die Verfügung der Urheber über ihr Werk begrenzt: Für Unterricht und Lehre an Schulen und Hochschulen sowie für die wissenschaftliche Forschung dürfen bis zu 15 Prozent eines Werkes frei verwendet werden, so sieht es das Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetzes künftig vor, das auch auf den nicht minder kryptischen Namen UrhWissG hört. Vergütet werden die Urheber dafür pauschal. Auch der von Verlegern geforderte Lizenzvorrang kommt nicht. Demzufolge hätte die Schranke erst gegriffen, wenn die Universitätsbibliothek für das Werk keine Lizenz erworben hätte, die jeweils eigene Vorgaben zur Verwendung macht. Darauf hatten vor allem die Verlage gedrungen, die in der teilweise freien Verwendung urheberrechtlich geschützter Werke eine Gefahr für ihre Existenz sehen. Das freilich würde die Schranke ad absurdum führen, wäre sie doch durch jede Lizenz, die etwas anderes vorsieht, nichtig. Genau daran wäre die Abstimmung aber fast gescheitert: Weil CDU-Politiker lange auf den Lizenzvorrang beharrten, konnten sich die Fraktionsspitzen erst am 27.06.2017 überhaupt auf einen Gesetzesentwurf einigen.
Das Gesetz ist der vorläufige Abschluss eines monatelangen Hin und Hers zwischen der Verwertungsgesellschaft (VG) Wort, Politik, Verlagen und den Hochschulen. Das begann im Dezember 2016: Die VG Wort hatte mit der Kultusministerkonferenz (KMK) einen Rahmenvertrag zum §52a des Urheberrechts-Gesetzes ausgehandelt: Die bis dahin übliche Pauschalvergütung sollte durch eine Einzelvergütung ersetzt werden. Jeder auf OPAL hochgeladene Text hätte dann einzeln vergütet werden müssen. Die Unis liefen Sturm gegen dieses aufwändige Verfahren und boykottierten den Vertrag — weshalb zwischenzeitlich sogar der Teufel eines leer geräumten OPALs an die Wand gemalt werden musste. Am 23.12.2016 aber konnten sich Hochschulrektorenkonferenz (HRK), VG Wort und KMK auf ein Moratorium einigen: Bis zum 30.09.2017 werden keine Materialien gelöscht.
Die Zeit für eine gesetzliche Regelung drängte also — und so war am 30.06. erst einmal kollektives Aufatmen angesagt. Michael Kretschmer, Bildungspolitiker der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, freut sich über einen „wirklich fairen Ausgleich zwischen den Interessen der Verleger und Autoren und der Nutzer“, die sächsische Wissenschaftsministerin Dr. Eva-Maria Stange (SPD) begrüßte insbesondere „die Rechtssicherheit“, die es schaffe — und auch von Seiten der Studierenden kommt Lob. Daniel Irmer, Sprecher der Konferenz Sächsischer Studierendenschaften, sagt: „Das Gesetz stellt einen Meilenstein im Konflikt zwischen der VG Wort und den Hochschulen dar.“ Doch einen Freudentanz hat er wohl nicht aufgeführt. Vor allem die Höhe der Schranke von 15 Prozent stößt nicht nur bei dem Studierendenvertreter auf Kritik. Schließlich hatte der von Justizminister Heiko Maas (SPD) Anfang des Jahres vorgelegte Gesetzesentwurf noch eine Schranke von 25 Prozent vorgesehen, die aber durch Änderungsanträge geschrumpft ist. Tilman Reitz, Soziologieprofessor an der Uni Jena, mag im Gesetz deshalb nicht vielmehr als einen „kleinen Schritt in die richtige Richtung“ sehen. Er plädiert stattdessen für eine allgemeine Wissenschaftsschranke: 100 Prozent statt 15.
Das kritisiert auch Dr. Claudia Maicher, Hochschulpolitikerin der Grünen im Sächsischen Landtag. Noch aus einem anderen Grund könne sie „sehr gut nachvollziehen“, dass sich die Fraktion ihrer Partei bei der Abstimmung im Bundestag enthalten habe: Die Schrankenregelung ist befristet. Ende Februar 2023 verlieren die Schrankenregelungen schon wieder ihre Gültigkeit. Bis 2023 will man das neue System erproben, dann wird es erst einmal evaluiert — und die neue Regelung damit wieder auf Eis gelegt. „Das Minimum für freie Nutzung in Wissenschaft und Lehre hat auch noch ein Verfallsdatum“, kritisiert Maicher.
Schranke hin, Schranke her — im kommenden Wintersemester wird die Frage eher lauten, wie überhaupt mit urheberrechtlich geschützten Werken umzugehen ist: Um genügend Übergangszeit einzuräumen, greift das Gesetz erst ab 01.03.2018. Bis dahin gilt das aktuelle Urheberrechtsgesetz, das in §52a die Nutzung „kleiner Teile“ von veröffentlichten Werken, Zeitungsartikeln oder Beiträgen für den Unterricht an Schulen und Hochschulen sowie für die eigene wissenschaftliche Forschung erlaubt.
Das Problem ist nur: Schon im Oktober läuft das Moratorium aus, das die pauschale Vergütung für genutzte Werken ermöglicht. Bis dahin hat die „Arbeitsgruppe digitale Semesterapparate“ aus Kultusministerkonferenz, Hochschulrektorenkonferenz und der VG Wort Zeit, einen neuen Rahmenvertrag zum §52a auszuhandeln. Nur wenn das gelingt, ist sichergestellt, dass es auf OPAL im kommenden Wintersemester nicht doch ziemlich einsam wird.
Kein Wunder also, dass am Freitag auf Facebook niemand sein Profilbild neben der Regenbogenfahne auch mit einem „Danke, Schranke!“ geziert hat. Irmer fasst die Befindlichkeiten gegenüber dem neuen Gesetz wohl ziemlich gut zusammen, wenn er sagt: „Es war ein guter Tag, aber einer mit Bauschmerzen.“
Text: Luise Martha Anter
Foto: Amac Garbe