Im ruhig und gefühlvoll erzählten Drama „Loving“ werden die zwischenmenschlichen Hintergründe eines historischen Gerichtsverfahrens in den Vordergrund gestellt.
Es wird für kritische Kinogänger schnell gefährlich, sobald ein Film damit beworben wird, dass er auf Tatsachen oder wahren Geschehnissen basiert. Dann droht nämlich die Gefahr, dass eine überzogen dramatisch inszenierte und eigentlich nicht sehr tiefgründige Geschichte dadurch gerechtfertigt wird, dass das Gezeigte tatsächlich passiert sei. Eine Art Freibrief für historischen Kitsch also und ein universell einsetzbares Mittel gegen jegliche Kritik am Film. Außerdem spült ein spannender geschichtlicher Bezug stets ein gewisses Publikum in die Kinos, welches sich eben für genau dieses historische Ereignis besonders interessiert. Wenn es sich dann auch noch um eine tagespolitisch relevante und vieldiskutierte Thematik handelt, sind es eben gleich mal sehr viele interessierte Kinobesucher und Filmkritik wird zum Verrat an der Hintergrundgeschichte – ein Jackpot für die Filmemacher.
Auch „Loving“, der neue Film unter der Regie von Jeff Nichols, der am 15. Juni in den deutschen Kinos anläuft, besitzt alle Grundvoraussetzungen, um von diesem Freibrief Gebrauch zu machen. Das Drama behandelt die Geschehnisse rund um den Fall Loving gegen die Vereinigten Staaten von Amerika, infolgedessen am 12. Juni 1967 das Verbot von Eheschließungen aufgrund von Rassenmerkmalen durch den Obersten Gerichtshof als verfassungswidrig erklärt wurde. Der Gerichtsbeschluss hatte solch einen nachhaltigen Einfluss im US-amerikanischen Raum, dass dort der 12. Juni als „Loving Day“ in die Geschichtsschreibung eingegangen ist. Nach der öffentlichen Diskussion im vergangenen Jahr, ob die Academy Awards vielleicht ethnisch voreingenommen seien und deren erwarteter Gegenreaktion darauf, könnten böse Zungen jetzt behaupten, dass die Macher von „Loving“ mit diesem historischen Bezug vielleicht sogar nicht nur auf Besucher, sondern auch bewusst auf Oscar-Jagd gehen wollten.
Ärgerlicherweise bestärkt der Trailer zum Film diesen Verdacht auch noch durch seine überbordende Verwendung von Musik und die dramatisierenden Hinweise auf die „weltverändernde“ Tragweite der Geschichte. Ärgerlich ist das, da der eigentliche Film zum Glück so ziemlich alle oben genannten Vermarktungsstrategien außer Acht lässt und sich auf das Wesentliche und Starke an der Geschichte der Lovings konzentriert: die Lovings selbst. Es geht um Richard (Joel Edgerton), einem Maurer, der in seiner Freizeit an schnellen Autos herumbastelt, und um Mildred (Ruth Negga), deren Brüder mit Richard zusammen an Straßenrennen teilnehmen. Um ihre Liebe zueinander offiziell zu machen, reist das junge Paar 1958 in das liberale Washington, D. C. und heiratet dort. Sie sind sich vollkommen darüber im Klaren, dass sie das in ihrem konservativen Heimatstaat Virginia ganz sicher nicht dürften, denn Richard ist weiß und Mildred eben nicht. Dennoch wollen sie bei ihren Familien und Freunden leben und kehren nach der Heirat gleich wieder dorthin zurück.
Es wird in „Loving“ nicht einmal ansatzweise behauptet, dass es dieses Ehepaar bewusst und mutig darauf angelegt hätte, sich durch ihre Rückkehr der Staatsgewalt in Virginia zu widersetzen, um ihre eigenen Rechte und gleich auch noch die Rechte anderer derartiger Ehepaare zu behaupten. Vielleicht hofften sie zunächst, dass sie unauffällig und unbemerkt ein einfaches Leben führen können. Vielleicht konnten sie sich ein Leben ohne die ihnen nahen Menschen aber auch einfach gar nicht vorstellen. Sowohl vom Ausmaß der nachfolgenden staatlichen Gegenwehr als auch von der tief sitzenden Ablehnung durch die Menschen in ihrer Umgebung sind Richard und Mildred jedenfalls ehrlich überrascht und entsetzt. Auch in die nachfolgenden gerichtlichen Verwicklungen und alles, was diese noch so nach sich ziehen, stolpern sie eher widerwillig hinein und sind auch nicht immer restlos von der Rechtmäßigkeit der eigenen Handlungen überzeugt. Das einzige, was sie sicher wissen, ist, dass sie nicht mehr ohne einander und nicht ohne ihre nahesten Bezugspersonen leben wollen – eine zutiefst menschliche und keinesfalls heldenhafte Entscheidung.
Der Film bleibt von Anfang bis Ende ganz nah an Mildred und Richard und lässt sich zu keinem Zeitpunkt dazu hinreißen, die historische Bedeutung des sich entfaltenden Gerichtsverfahrens übermäßig hervorheben zu wollen. Im Gegenteil, es wird ständig betont, dass die eigentliche Grundlage für die Legende um den Gerichtsbeschluss vom 12. Juni 1967 ganz schlicht und ergreifend ist. Mit mehrheitlich ruhigen Bildern werden die Protagonisten und ihre Umgebung eingeführt. Hierbei überzeugt auch das authentische Spiel von Ruth Negga und Joel Edgerton, bei denen das Hauptaugenmerk stets auf Gesten und Blicken liegt. Ausgesprochen wird nur das Nötigste, welches auch gerade dadurch große Bedeutung erhält. Jedweder Ausbruch aus dieser von Grund auf unaufgeregten Erzählweise, beispielsweise durch eine Szene mit Brutalität und Bedrohung, wirkt sich ebenso verstörend auf die Protagonisten wie auch auf den Zuschauer aus. Die Lovings leben nicht etwa in einer ohnehin schon erbarmungslosen Welt der alltäglichen Rassentrennung, sondern erleben Erbarmungslosigkeit und Rassismus jedes Mal wieder als entsetzliche Verbrechen, welche ihre Narben hinterlassen.
Der Film zeigt nicht einfach nur die Ungerechtigkeit der damaligen Zustände in den USA auf, sondern plädiert universell gegen jegliche Formen von Unrecht und Unmenschlichkeit. Gerade dadurch, dass die gesamtgesellschaftliche Debatte über den Fall Loving außer Acht gelassen wird und sich die volle Aufmerksamkeit auf die Menschen hinter dem Gerichtsverfahren richtet, wirkt dieses filmische Plädoyer zeitlos. Darüber hinaus ist es durch die Schönheit seiner Bilder, die eindrucksvoll kontrollierte Inszenierung und das natürliche Schauspiel auch noch ein sehr ästhetisches Kinoerlebnis – was man wahrlich nicht von vielen historischen Filmdramen behaupten kann.
Text: Carl Lehmann
Foto: Amac Garbe
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