Mit der Ausstellung „Sprache. Welt der Worte, Zeichen, Gesten“ gewährt das Deutsche Hygiene-Museum Dresden bis zum 20. August tiefe Einblicke in sprachliche Kommunikationsformen.
Es ist beinahe ironisch, dass einen der erste Eindruck von einer Ausstellung über Sprache im wahrsten Sinne des Wortes sprachlos machen kann. Was das Deutsche Hygiene-Museum Dresden (DHMD) in Zusammenarbeit mit der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung auf gut 800 Quadratmetern Fläche zusammengetragen hat, ist beeindruckend und wird in seinem Umfang und der Dichte vom ersten Augenblick an dem hochkomplexen Untersuchungsobjekt gerecht. Unter dem Titel „Sprache. Welt der Worte, Zeichen, Gesten“ verteilt sich auf vier ausgedehnte Ausstellungsräume eine solche Vielzahl an Exponaten, Bildern, Texttafeln sowie Video-, Audio- und Interaktionsbeiträgen, dass man sich richtig disziplinieren muss, wenn man die Ausstellung auch wirklich in ihrer Gesamtheit erfassen und alles sehen möchte.
Deshalb sei gleich vorab gesagt, dass es lohnens- sowie auch empfehlenswert ist, sich gleich an zwei Tagen mehrere Stunden Zeit für die Ausstellung zu nehmen, um weder etwas zu verpassen, noch durch die vielen Eindrücke überfordert zu werden. Eine derartige Ausdehnung des Besuches im Hygiene-Museum bietet sich jedoch ohnehin an, denn eine Eintrittskarte ist stets an zwei aufeinanderfolgenden Öffnungstagen gültig und berechtigt zum Zugang zu sämtlichen Sonderausstellungen sowie auch zur Dauerausstellung „Abenteuer Mensch“. Dafür ist der Eintritt mit acht Euro für Erwachsene und vier Euro für Ermäßigte wirklich ausgesprochen günstig. Kinder können bis zum Alter von 16 Jahren sogar kostenlos in die Ausstellungen.
Zum Besuch der anderen Ausstellungen wird aber wohl kaum kommen, wer die prall gefüllten Räume der Sprachsonderschau wirklich in Ruhe auf sich wirken und ihnen die angebrachte Aufmerksamkeit zukommen lässt. Hierbei lohnt es sich tatsächlich, chronologisch vorzugehen, denn alle Beiträge und Ausstellungsstücke bauen logisch aufeinander auf und bieten jeweils eine gute Grundlage für Nachfolgendes. So ermöglicht der erste Raum zunächst einen Überblick über die grundlegenden Voraussetzungen für menschliche Sprache und zeigt zugleich auch ihre kulturelle Entwicklung sowie ihre Herausbildung als wissenschaftliches Untersuchungsobjekt. Das Motto hierfür lautet „Homo Loquens. Zur Sprache kommen“ und bezieht sich keineswegs nur auf gesprochene Sprache, sondern umfasst auch alternative Verständigungsebenen wie etwa Mimik und Gestik. Ein besonders faszinierendes Ausstellungsstück ist hier der Nachbau einer Sprachmaschine, mit der bereits im Jahre 1760 ein Wissenschaftler versucht hatte, menschliche Sprache zu imitieren. Das Konstrukt besteht aus Holz und gibt zwar täuschend echte Geräusche von sich, kann aber leider nur die Laute „A“, „O“, „U“, „P“ bzw. „B“ erzeugen.
Es handelt sich bei dem ersten Raum um den inhaltlich umfangreichsten Teil der Ausstellung mit einer Vielzahl an informativen wissenschaftlichen Beiträgen, aber auch anschaulichen Exponaten und interessantem Video- und Audiomaterial. Der Raum ist dabei relativ dunkel gehalten (vor allem im Vergleich zur weiteren Ausstellungsfläche), um demonstrativ zu veranschaulichen, dass hier Licht in das Dunkel des Phänomens Sprache gebracht werden soll. Und so fühlt man sich auch durchaus erleuchtet, oder zumindest um einiges an Wissen reicher, wenn man das Hell des nächsten Raumes betritt, der dem Thema „Denkbewegungen. Sinn und Sinnlichkeit der Sprache“ gewidmet ist.
Nach der eher theoretischen Grundlage zuvor geht es hier dann mehr um die kreativen, praktischen und auch alltäglichen Anwendungsbereiche von Sprache. Die Besucher können sich, neben dem Studium der weiteren Informationsbeiträge und Anschauungsobjekte, auch selbst interaktiv daran ausprobieren, Sprache zu gestalten und neu zu entdecken. Es gibt sprachbasierte Spiele, verschiedene Schreibmedien, wie zum Beispiel Schiefertafeln, Stempel und Magnetbuchstaben an einer Metalltafel, und wer die Zeit mitbringt, kann sich sogar in einen der gemütlichen Sessel setzen und in den unterschiedlichsten Büchern stöbern, welche rundherum zu finden sind und sich auf unterschiedlichste Weisen mit dem Thema Sprache befassen. Auch die letzten beiden Räume, welche sich mit dem mächtigen Einfluss von Sprache auf Gesellschaft und Privates beschäftigen, enthalten zahlreiche interaktive Elemente, welche zur Benutzung einladen. Der Aspekt der gestalterischen Beteiligung der Ausstellungsbesucher, mit dessen Hilfe hier die Sprache interessant und spürbar gemacht werden soll, ist ein großer Anreiz, aber zugleich auch einer der wenigen Schwachpunkte der Ausstellung im DHMD.
Anreiz ist diese spielerische Seite vor allem für die jüngeren Besucher der Sonderschau, zumindest mehr Anreiz als der eher text- und informationsfokussierte erste Bereich, aber auch für erwachsene Besucher ist es ein willkommener Kontrast zum theoretischen Input. Kleine Schwäche hierbei ist, dass es sich um eine recht begrenzte Anzahl von Interaktionsobjekten handelt und diese selbstverständlich oft benutzt werden. Sollte man also eine Zeit erwischen, zu der die Ausstellung gut gefüllt ist, sind die interaktiven Elemente schnell alle belegt und schlecht zugänglich sind. Außerdem gibt es Objekte, welche durch die häufige Nutzung irgendwann nicht mehr ganz funktionsfähig sind – mal versagt der Filzstift oder man darf nicht mehr auf der Schreibmaschine tippen, weil diese defekt ist. Eine weitere, minimale Schwachstelle wird eher nur indirekt durch die interaktiven Aspekte ersichtlich und betrifft vielmehr einen anderen inhaltlichen Schwerpunkt der Ausstellung, nämlich den der sprachlichen Barrierefreiheit.
Bemerkenswerterweise haben es sich die Kuratoren zur Aufgabe gemacht, wirklich alle Facetten von Sprache zu behandeln und dabei auch möglichst keinen Besucher auszuschließen. Inhaltlich bedeutet das, dass es auch um die sprachliche Kommunikation zwischen körperlich Beeinträchtigten geht, sei es nun per Gebärdensprache oder Blindenschrift. Praktisch geht es darum, die Ausstellung auch für Hör- und Sehbehinderte erfahrbar zu machen. Sämtliche Haupttexttafeln sind mit Kopfhörern versehen, über die neben der identischen Audioversion stets auch eine Version in vereinfachter deutscher Sprache angehört werden kann. Darüber hinaus gibt es noch einen kleinen Videobildschirm mit Erklärungen in Gebärdensprache.
Zwar wird in diesem Zuge auch gleich noch auf die sich im Raum befindenden Exponate und interaktiven Elemente hingewiesen, jedoch sind alle weiteren Informationen und Ausstellungselemente für Hör- und Sehbehinderte insgesamt nur eingeschränkt abruf-, nutz- und fühlbar. So bleibt es leider bei dem ehrenwerten Versuch einer barrierefreien Ausstellungsgestaltung, wovon letztendlich lediglich eine beschränkende Auswahl bestimmter Exponate und Beiträge für körperlich Beeinträchtigte übrig bleibt. Dies kann jedoch keinesfalls ein wirklicher Vorwurf an das Museum bzw. die Ausstellungsmacher sein, sondern ist vielmehr ein bedrückender Beweis dafür, wie aufwendig und lang der Weg zu einer vollständigen Barrierefreiheit noch ist – auch im kulturellen Bereich.
Abgesehen von diesen wenigen, geringfügigen Schwächen ist der Sprachausstellung im DHMD jedoch überhaupt nichts vorzuwerfen, vor allem nicht inhaltlich. Es ist den Kuratoren ein gelungener, wenn schon nicht allumfassender, dann doch wenigstens sehr vielschichtiger Überblick über das Medium Sprache gelungen, welcher wissenschaftlich relevant und zugleich möglichst allgemeinverständlich ist. Nach einem ausgiebigen Besuch der Ausstellung „Sprache. Welt der Worte, Zeichen, Gesten“ fühlt man sich als Besucher mitunter sogar dazu beflügelt, künftig bewusster mit Sprache umzugehen. Unterschätzen wird man dieses Kommunikationsmedium danach jedenfalls unter keinen Umständen mehr.
Bis zum 20. August 2017 besteht noch die Gelegenheit, sich die Ausstellung einmal anzuschauen. Oder vielleicht ja auch noch ein zweites oder drittes Mal.
Text: Carl Lehmann
Fotos: David Brandt