Filmische Porträts beim DOK Leipzig

5,5 Stunden Laufzeit. Das schreckt im ersten Moment ab. Zumindest, wenn man sich nicht schon durch Christian Marclays 24-Stunden-Werk „The Clock“ gekämpft hat, das noch bis Ende Januar in der Neuen Nationalgalerie in Berlin zu sehen ist.

Vom Kleinen zum Großen

Debra Graniks Dokumentarfilm „Conbody vs Everybody“ war hingegen beim diesjährigen Internationalen Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm in der Sektion Camera Lucida zu sehen. Der 332-Minüter begleitet den ehemaligen Strafgefangenen Coss auf dem Weg zurück in die New Yorker Lower East Side – nicht mehr als Drogendealer, sondern als Gründer eines Fitnessstudios. Das Spezielle: Die Übungsleiter:innen sind alle Ex-Häftlinge, ehemalige Convicts.

Die Wahrheit ist: Von den 650.000 Strafgefangenen, die jedes Jahr in den USA wieder in die Freiheit entlassen werden, kehren drei Viertel innerhalb von fünf Jahren in die Haft zurück. Eine traurige Wahrheit, die Coss Marte durchbrechen will. Und seit 2014 gelingt ihm das mit ConBody. Dabei begleitet die Filmemacherin, die mit dem adaptierten Drehbuch zu ihrem Film „Winter’s Bone“ 2011 für einen Oscar nominiert war, nicht nur Coss selbst. Sie nimmt auch seine Trainer:innen, seine Familie und Wegbegleiter:innen in den Blick. Coss will ihnen eine Perspektive bieten, doch nicht jede:r kann sie annehmen. Und so fiebert man 332 Minuten mit, wer den Absprung schafft. Zumal Granik auch die Gentrifizierung des Stadtviertels, die US-Politik und die amerikanische Gesellschaft „ganz nebenbei“ in den Fokus nimmt. Jede Minute sehenswert!

Zwei Frauen kämpfen sich durch

Einen anderen Fokus setzt Vincent Graf, denn er begleitet mit der Kamera seine titelgebende „Nonna“. Nach vielen Jahrzehnten in Deutschland ist Rosa mit dem wohlverdienten Geld nach Süditalien zurückgekehrt, um dort mit einem neuen Haus eine Existenz für die ganze Familie aufzubauen. Doch die Familie blieb in der neuen Heimat, nach dem Tod ihres Mannes ist Rosa allein und kämpft sich mit einem Bed & Breakfast durch die Rente. Allein Telefonate verbinden sie mit der Familie in Deutschland, mit dem Bruder nebenan streitet sie. Graf setzt seiner Oma damit ein kleines Denkmal, aber auch der Einsamkeit und Mühsal im Alter, die er hier ins Bild setzt. Der Film lief im Deutschen Wettbewerb Dokumentarfilm.

Im gleichen Wettbewerb war auch „Holler for Service“ von Ole Elfenkaemper und Kathrin Seward zu sehen. Im Südwesten Georgias angesiedelt, zeigt es die ländlichen USA, die hier von Nachbarschaft und Hilfsbereitschaft geprägt sind. Zumindest begegnet Kellie den Kund:innen ihres Hardware Store so – obwohl sie es als queere Person im traditionell stark republikanisch geprägten Süden der USA nicht immer leicht hat. Sie bestellt, was sie nicht auf Lager hat, hat immer ein offenes Ohr oder einen guten Rat und holt streunende Hunde von der Straße – im wahrsten Sinne des Wortes. Ein weiteres Porträt, das ganze Welten eröffnet.

Text: Nadine Faust

Foto: © DOK Leipzig 2025, „Conbody vs Everybody“, Debra Granik

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