So unscheinbar, wie die Baracke des Studierendenrats (StuRa) der TU Dresden von außen wirken mag, so essenziell wichtig ist die Arbeit, die seine Mitglieder im Inneren leisten. Ohne das Referat Mobilität etwa gäbe es das Semesterticket nicht und auch MOBIBike wäre für Studierende kaum in dem Umfang und zum gleichen Preis nutzbar. Im Interview mit Campusrauschen sprechen Marius Schiller, StuRa-Referent für Mobilität, und Nikodim Brickwell, Mitglied im Referat Mobilität, über die Zukunft des Semestertickets, politische Turbulenzen und die Verkehrswende in Dresden.
Als Studenten der Verkehrswissenschaften und StuRa-Experten für Mobilität: Wie würdet Ihr die Dresdner Verkehrspolitik in drei Wörtern beschreiben?
Brickwell: Als erstes fällt mir ambivalent ein – das ist ein schönes Wort für Dresden. Ambivalent, vielseitig und umkämpft.
Inwiefern ambivalent?
Brickwell: Wir haben nicht zuletzt aufgrund der Verkehrsfakultät der TU einerseits viele sehr fähige Menschen in Dresden, die Verkehr gestalten möchten. Andererseits vernehmen wir teils fragwürdige Forderungen aus dem politischen Raum. Das äußert sich dann in der Verkehrspolitik. So gibt es in Dresden abschnittsweite sehr gute Radwege und abschnittsweise sehr bescheidene Ampelschaltungen, die verhindern, dass Dresden zur Fahrradstadt wird. Es sollen zukünftig vier Radvorrangrouten eingerichtet werden, gleichzeitig bleiben auf den herkömmlichen Radwegen Standards unerfüllt, die leicht zu beheben wären. Geredet wird von Fahrradfreundlichkeit und einer Straßenbahnlinie entlang des Campus, die Verkehrsplanung aber bleibt fokussiert auf die Erhöhung der Leistungsfähigkeit im Autoverkehr, wie sich etwa im Ausbau der Nürnberger Straße zeigt.
Wenn man Eure Pressemitteilungen verfolgt, bekommt man das Gefühl, das in Eurer Einschätzung verkehrspolitisch einiges im Argen liegt – in der Stadt, aber auch in Sachsen und bundesweit. Im Juli habt Ihr etwa vor Kürzungen bei den Dresdner Verkehrsbetrieben (DVB) gewarnt. Was gibt Euch Anlass zur Sorge?
Brickwell: Die Sorgen sind tatsächlich zahlreich. Die Verkehrsbranche befindet sich insgesamt in Deutschland im Umbruch. Hinzu kommt politische Taktiererei in Dresden. Nehmen wir etwa ein Erfolgsvorhaben wie MOBIBike: Das wird finanziell im Wesentlichen durch unsere Studierenden gestützt und gehört zu den erfolgreichsten Sharing-Systemen in Deutschland. Doppelt so viele Menschen wie in Berlin nutzen hier MOBIBike und trotzdem ist es ein politischer Spielball und wird ständig hinterfragt. Vor etwa zwei Jahren gab es eine lange Debatte über die Weiterfinanzierung des Systems, schon damals mussten wir eine gehörige Preissteigerung akzeptieren. Da wünschen wir uns einfach, dass auch die Stadt ihren Beitrag leistet und die Finanzierung auf sichere Beine stellt. Gegenüber den sonstigen Ausgaben für die DVB ist MOBIBike nun auch wirklich nicht teuer.
Besteht denn gerade eine akute Gefahr von Kürzungen, so wie Ihr es in der Pressemitteilung anklingen lasst? MOBIBike etwa ist ja erst im August um 550 Räder und zehn Lastenräder aufgestockt worden.
Brickwell: Aus diversen Gremien und politischen Lagern hat es damals Reaktionen gegeben, so auch von uns, um möglichen Verschlechterungen vorzubeugen. Die hätten zwar vermutlich nicht alle unsere Studis getroffen, aber immerhin stand wohl auch die Streichung des gesamten MOBIBike-Systems zur Debatte. Da es seitdem aber nicht zu Kürzungen im Angebot gekommen ist, ist schon zu hinterfragen, was dieses Schreckensszenario gerade in Richtung der politischen Parteien zu bedeuten hatte.
Neben Eurem Einsatz für die Aufrechterhaltung des Angebots gebt Ihr Euch auch mit der Einführung des Deutschlandtickets nicht zufrieden. Ihr fordert stattdessen ein ermäßigtes Ticket für Studierende. Oberbürgermeister Dirk Hilbert hielt Studierende hingegen schon für einen „absolut privilegierten Kundenkreis“, als es das Deutschlandticket noch gar nicht gab. Ist Eure Forderung nach weiterer Ermäßigung also undankbar – und angesichts der angespannten Haushaltslage riskant?
Brickwell: Nein, das sehen wir nicht so. Zunächst einmal hat unser Semesterticket immer zu den Abos gehört, die gering – und im Übrigen auch nur indirekt durch gesetzlich vorgeschriebene Landeszuschüsse für den Ausbildungsverkehr, nicht aber über städtische Mittel – subventioniert werden. Trotz dessen haben wir es immer geschafft, einen sehr großen Leistungsumfang für einen vergleichsweise geringen Preis zu erhalten. Für knapp über 30 Euro kann man so in ganz Sachsen reisen, das konnte kein anderer Kunde. Grund dafür ist aber, dass wir so viele Studierende sind, die mit einem Abo das System solidarisch stützen.
Inwiefern sind Studierende mit der Zahlung ihres Semestertickets solidarisch?
Schiller: Das Solidarprinzip sieht vor, dass alle Studierenden immer das Semesterticket haben müssen, ob sie fahren oder nicht. Gerade in der Pandemie haben etwa alle unsere Studierenden weiterbezahlt, ohne dass sie wirklich die Leistungen in Anspruch genommen hätten. Damit haben wir den ÖPNV ganz erheblich gestützt. Nun gibt es das Deutschlandticket, das einen gigantischen Leistungsumfang bereithält, freiwillig gekauft werden kann und nicht viel teurer ist als das Semesterticket. Das hat dafür gesorgt, dass zahlreiche Städte in Nordrhein-Westfalen und auch Berlin schon in diesem Sommer geschlossen das Semesterticket abgeschafft haben. Davor zittern aber die Verkehrsbetriebe: mit dem Ausstieg würde ihnen eine stabile Einnahmequelle wegfallen. Um das zu verhindern, müssen wir die Attraktivität des Semestertickets sicherstellen. Nur so sind unsere Studierenden auch in Zukunft trotz flexiblerem Deutschlandticket dazu bereit, das Semesterticket als Bestandteil der Semestergebühren zu bezahlen.
Sprich: Wenn es ein Semesterticket für Studierende gibt, das deutschlandweit gilt und weniger als 49 Euro kostet, kommt das sowohl den Studierenden zugute als auch den Verkehrsbetrieben, weil so Planungssicherheit herrscht?
Schiller: Genau, die Verkehrsbetriebe haben so eine Planungssicherheit, die sie mit freiwilligen Modellen nicht haben. Sie schlagen daher Alarm, dass eine zukunftssichere Solidarlösung gefunden werden muss. Dazu gibt es ja sogar einen Vorschlag von den Landesverkehrsminister*innen. Für ein bundesweit gültiges Semesterticket war da ein Preis von 60 Prozent des Deutschlandtickets im Gespräch, also rund 29 Euro. Das Modell ist klar, es stößt bei vielen Seiten auf Akzeptanz.
Aus den Verkehrsministerien vernimmt man aktuell wenig Begeisterung für gesteigerte ÖPNV-Ausgaben. Auf der Minister*innenkonferenz Anfang November musste gar um die Zukunft des Deutschlandtickets gerungen werden, Vergünstigungen im Sinne eines bundesweit gültigen Semestertickets kamen gar nicht erst zur Sprache.
Brickwell: Tatsächlich gibt es momentan sowohl von unserer Seite als auch von der der Verkehrsbetriebe immense Unsicherheiten. Solange eine Regelung für Studierende weiter in der Schwebe ist, müssen wir uns wohl auch in Zukunft mit den Verkehrsbetrieben um Preise streiten – und das in einer Zeit, in der die Akzeptanz für das Semesterticket zu sinken droht. Das ist ein Riesenproblem.
Schiller: Dazu kommt, dass wir ungefähr ein halbes Jahr Vorlauf vor Semesterstart brauchen, um unsere Semesterticketverträge abzuschließen, die dann für zwei Jahre gültig bleiben. Das liegt unter anderem daran, dass die Höhe der Beiträge bereits vier Monate vor Semesterbeginn veröffentlicht sein müssen, weil ab dann die ersten Bewerbungen auf Studienplätze an der TU möglich sind. Nun natürlich eine Beitragsordnung zu beschließen, die für die nächsten 2,5 Jahre fix ist, ist angesichts aller Unklarheiten problematisch: Man möchte kaum in alten Verträgen gefangen sein, wenn sich ein besseres Angebot abzeichnet. Dieses Jahr haben wir vor diesem Hintergrund beschlossen, Teilverträge für das Semesterticket abzuschließen. So haben wir den Vertrag mit dem Verkehrsverbund Oberelbe (VVO) erst einmal nur um ein halbes Jahr verlängert. Der Vertrag für die Nutzung des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV) im Rest Sachsens ist zwar weiterhin für zwei Jahre beschlossen, aber an das Bestehen des VVO-Tickets geknüpft. Dies erlaubt uns Flexibilität, falls doch eine Solidarlösung mit bundesweiter Gültigkeit beschlossen wird. Gleichzeitig heißt es, dass wir uns gerade mit unserer Planung von zu Semester zu Semester hangeln.
Wie setzt Ihr Euch konkret dafür ein, dass es bald womöglich doch ein vergünstigtes Ticket gibt?
Brickwell: Wir stehen im regen Austausch mit den Verkehrsbetrieben und der Landesstudierendenvertretung (KSS) sowie auf Bundesebene mit dem freien Zusammenschluss von Student*innenschaften (fzs). Eine riesengroße Kampagne ist aber leider momentan nicht ersichtlich. Wir hoffen erst einmal, dass wir in der aktuellen Situation jegliche Preissteigerungen abwehren können. Sonst wird unser Semesterticket bald teurer als das Jobticket vom Prof, das weiter bezuschusst ist. Mit dem Unterschied, dass der Prof wählen kann und unsere Studierende das Ticket weiterhin solidarisch stützen. Das ist die Situation – und die muss irgendwie gelöst werden.
Einerseits scheint Geld oft knapp zu sein, andererseits kündigt die Stadt den Bau eines neuen Parkhauses an der TU an. Wie passt das zusammen?
Brickwell: Ja, gegen das Parkhaus haben wir uns ja aktiv ausgesprochen und konnten dazu am 14. Juli bei unserer Demonstration auch viele Studierende mobilisieren. Dieses Parkhaus ist ein absurdes Ergebnis mehrerer Verwaltungsstrukturen, die nicht gut genug zusammenarbeiten. Denn eigentlich möchte das weder die Uni noch das Liegenschaftsamt, das die Unigebäude verwaltet, bauen. Sie sind aber von Seiten der Stadt Dresden und ihrer Stellplatzsatzung dazu verpflichtet. Jetzt haben wir die Stadtverwaltung gebeten, auf die Durchsetzung der Baupflicht zu verzichten. Das wird aber abgelehnt, teils mit Verweis auf das Ziel, dass nicht mehr so viele Autos an der Straße geparkt werden. Auch, wenn das grundsätzlich löblich ist, funktioniert es in der Realität so nicht: Es müssen nach der Stellplatzsatzung für jedes neue Unigebäude neue Parkplätze vorgehalten werden, durch das Parkhaus würde sich also nur deren Anzahl erhöhen. Keine*r kann garantieren, dass dafür weniger Parkplätze draußen auf dem Campus genutzt werden.
Was lässt Euch glauben, dass das Parkhaus nicht benötigt wird?
Brickwell: Der Parkhausbedarf am Campus geht seit Jahren zurück, das kann verkehrswissenschaftlich nachgewiesen werden. Und dann die Baukosten: Nach Schätzungen belaufen die sich auf 12 Mio. Euro. Bei 400 geplanten Stellplätzen sind das 30.000 Euro pro Platz. Von dem Geld könnten die Uniangestellten, die einen Parkplatz nutzen würden, auch gleich mit dem Taxi zur Arbeit fahren. Für eine echte Verkehrswende müssten die Parkplätze am Campus eher reduziert werden.
Eine grüne Verkehrspolitik, die zulasten des Autos geht, wird im politischen Diskurs nicht selten als ideologisch gebrandmarkt. Wie reagiert Ihr auf diesen Vorwurf?
Brickwell: Wir sind aus dem Grund nicht ideologisch, als dass unsere Überzeugung nicht stärker ist als die Fakten. Wir haben Statistiken darüber, wie viele Studierende mit dem ÖPNV zur Uni kommen, wie viele mit dem Fahrrad und wie viele mit dem Auto. Und in den vergangenen zehn Jahren gab es da einen Wandel. Viele Leute steigen vom ÖPNV aufs Fahrrad um, die Zahl der Studierenden, die mit dem Auto zum Campus kommen, ist deutlich zurückgegangen. Gleichzeitig erleben wir, dass die Infrastruktur nicht zu diesem gesellschaftlichen Trend passt. Wir haben aus manchen Richtungen extrem schlechte Radwege und der Zeithorizont dafür, dass sich das ändert, ist gigantisch. Der Autoverkehr wird hingegen noch immer mit etlichen Millionen subventioniert. Schon jetzt widerspricht also die bereitgestellte Infrastruktur derjenigen, die gesellschaftlich nachgefragt wird. Da sprechen wir noch nicht einmal von der Verkehrswende, die wir brauchen, um die Klimaziele zu erfüllen. Klar ist, dass wir uns auch dafür stark machen – und wenn man konsequenten Umweltschutz möchte, muss man vielleicht tatsächlich dem Auto den Kampf ansagen. Aber so weit sind wir noch gar nicht. Ideologisch ist hingegen etwas anderes: Erst kürzlich gab es einen breiten Beteiligungsprozess für den neuen Dresdner Mobilitätsplan. In diesem Rahmen wurden zahlreiche Ziele erarbeitet, die auf Sicherheit im Straßenverkehr und Nachhaltigkeit abzielen, fachlich sehr gut sind und auch unseren Studierenden zugutekämen. Das wird nun politisch bekämpft. Die CDU-Fraktion im Stadtrat hat etwa gefordert, dass bei jeder Kreuzung in Dresden primär die Leistungsfähigkeit für den Autoverkehr sichergestellt werden muss – selbst, wenn nach einer breiten Bürger*innenbeteiligung das Verlangen geäußert wird, die Verkehrsströme anders zu organisieren.
Was ist Eure Vision: Wie sieht studentische Mobilität in Dresden in zehn Jahren aus?
Brickwell: Ich hoffe, wir sehen stadtweit eine Infrastruktur, die den Bedürfnissen gerecht wird, ausreichend breite Radwege überall und viele Radschnellwege, auf denen man sich problemlos gegenseitig überholen kann. Der Campus ist nicht mehr voller Autos und die neue Straßenbahnlinie entlang des Zelleschen Wegs und der Nürnberger Straße wurde eingeweiht.
Schiller: Schon jetzt gehen wir Studierende voran in Richtung nachhaltiger Mobilität. Meine Hoffnung ist, dass sich das durch die Maßnahmen, die Nikodim gerade erwähnt hat, auch zunehmend auf dem Campus widerspiegelt und wir als Universität als Vorbild dienen.
Wie können Studierende, die für das Thema Mobilität brennen, Eure Arbeit unterstützen?
Brickwell: Wir suchen immer, und zwar in allen Bereichen: Menschen, die sich mit sozialwissenschaftlichen Methoden auskennen und Umfragen gestalten möchten, ebenso wie Politikinteressierte oder Ökologie-Expert*innen. Man muss kein Straßenbahn-Nerd sein. Am besten schreibt man uns einfach eine E-Mail oder trifft uns auf dem Campus, am wahrscheinlichsten in der StuRa-Baracke.
Schiller: Wir brauchen eine Vielzahl an Perspektiven, um Mobilität ganzheitlich abdecken und für die Studierenden letztlich zufriedenstellend anbieten zu können: auf dem Campus, in der Stadt, in Sachsen oder gegebenenfalls sogar deutschlandweit.
Danke Euch beiden fürs Gespräch!
Text: Tobias Alsleben
Zum Foto: Nikodim Brickwell (links) und Marius Schiller sprachen im Interview mit Tobias Alsleben über die Mobilität auf dem Campus und in Dresden.
Foto: Amac Garbe