Seit Ende Januar bewegt eine Onlinepetition die Dresdner Studierenden. Die drei Petentinnen fordern, den Studentenausweis der TU Dresden in Studierendenausweis umzubenennen. An den Reaktionen wird klar: Das finden bei Weitem nicht alle gut. Ein Interview mit Josefine Went und Nora Kellner.
Josefine und Nora, Ihr studiert beide Politikwissenschaft im dritten Semester, seid beide im Fachschaftsrat. Josefine, Du bist darüber hinaus Gleichstellungsbeauftragte der Philosophischen Fakultät. Wie kam es zu Eurer Petition, den Studentenausweis in Studierendenausweis umzubenennen?
Josefine Went: Es ist kein Geheimnis, dass an der TU Dresden die Dinge manchmal etwas langsamer laufen als an anderen Unis in Deutschland. Beim Thema der geschlechtergerechten Sprache gibt es wenig Sensibilität, wenig Motivation an dieser Uni. Der Umgang mit Diskriminierung ist schleppend. Wir haben uns zum Beispiel gefragt, warum Studentenwerk und Studentenrat immer noch so heißen. Praktisch alle Unis deutschlandweit haben inzwischen Studierendenausweise – wir nicht. Dann haben wir zusammengesessen und uns überlegt, wie wir hier herangehen könnten. Mit dem Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst stehen wir im Kontakt wegen einer möglichen Umbenennung des Studentenwerkes. Die Petition war dann ein Mittel, um herauszufinden, was die Studierendenschaft eigentlich von dem Thema hält. Die Umbenennung des Studentenausweises soll symbolisch aufzeigen, wie sehr das generische Maskulinum unsere tägliche Sprache beherrscht.
Habt Ihr Euch kundig gemacht, was die Umbenennung für Kosten nach sich ziehen würde?
Nora Kellner: Für den normalen Studierenden wären die Kosten gleich null. Die momentane Kopiervorlage des Ausweises laminiert jeder Studierende selbst. Seit einiger Zeit ist ja eine CampusCard in der Planung, die nicht nur den Studentenausweis umfasst, sondern auch MensaCard etc. Dafür würden sowieso Kosten entstehen.
Wobei bei einer CampusCard die Bezeichnungen Student oder Studierender ja offenbar eh vom Tisch wären.
Josefine Went: Ohne der TU und ihren Gremien zu nahe treten zu wollen: Solche Veränderungen sind immer sehr undurchsichtig. Allerdings hat sich vor ein paar Tagen herauskristallisiert, dass die neue CampusCard Studierendenausweis heißen soll – es gibt also einen klaren Erfolg. Ob die Petition der direkte Grund dafür ist, ist fraglich – trotzdem freuen wir uns sehr.
Wie positioniert sich eigentlich der Studentenrat zu dem Thema?
Josefine Went: Der StuRa kann ja selbst entscheiden, ob er Studentenrat oder Studierendenrat heißen möchte. Dazu gab es zuletzt 2017 einen Antrag, der leider nicht durchgekommen ist – was sehr, sehr schade ist. Die Leute aus dem StuRa, die allgemein für das Thema sensibilisiert sind, unterstützen uns. Es gibt natürlich auch Gegenstimmen – wie allgemein aus der Studierendenschaft.
Hattet Ihr denn mit solchem Gegenwind gerechnet?
Nora Kellner: Es ist schon überraschend, ich finde es teilweise gruselig. Wir sind mit Beschimpfungen, teilweise richtig mit Hass konfrontiert, als wäre das ein Einschnitt in das Leben der Menschen. Dass so viele dagegen sind, hätte ich nicht erwartet. Eine Egal-Haltung hätten wir erwartet, aber das sind die wenigsten. Alle, die nicht dafür sind, werfen uns viel vor. Die negativen Kommentare unter der Petition hören nicht auf.
Das Thema scheint zu polarisieren. Was sind die Argumente gegen eine Umbenennung?
Nora Kellner: Man kann das ziemlich klar unterteilen. Meistens ist es: „Habt Ihr keine größeren Probleme?“ Dann: „Das ändert sowieso nichts.“ Und viele sprachliche und grammatikalische Gegenargumente. Die Kostenargumente sind noch die konstruktivsten. Und natürlich heißt es, „diese feministisch kampfunterwanderte TU Dresden, diese Emanzen, der Gender-Gaga …“ Dass wir drei, die Initiatorinnen, diejenigen seien, die Geschlechterungerechtigkeit in der Sprache erst schaffen.
Vielleicht ist das ja eine reale Gefahr: dass rechtspopulistische Stimmen, die sich gegen das „Gender-Mainstreaming“ aussprechen, durch eine solch polarisierende Petition neuen Aufwind bekommen.
Josefine Went: Ich sehe diese Gefahr als Chance – das ist vielleicht übertrieben, aber immerhin besteht nun ein Diskurs in der Sache, den es vorher so nicht gab. Auch ein negativer Diskurs ist ein Diskurs. Wir haben zwar ein Ziel, das die Petitionsplattform uns gestellt hat. Uns geht es aber nicht darum, eine bestimmte Zahl zu erreichen – wir wollen eher an das Rektorat herantreten und sagen: „Soundso viele Leute unterstützen uns schon.“ Ich muss noch mal sagen: Es ist kein feministischer Kampf, den wir gerade führen, keine emanzipatorische Unterwanderung. Im Prinzip ist es nicht mal wirklich eine linkspolitische Aktion. Zuallererst ist es ein kleiner Schritt in Richtung Gleichberechtigung. Es geht darum, den Diskurs anzuregen und auf Probleme hinzuweisen, die aus dem generischen Maskulinum resultieren.
Vorstöße zur geschlechtergerechten Sprache kommen ja immer mal wieder. Der StuRa wollte sich bereits ein halbes Dutzend Mal umbenennen, bisher scheiterten alle Anträge jedoch. Nach wie vor scheint das Thema unter den Studierenden wie unter den Lehrenden umstritten zu sein, was sich auf den Webseiten der Universität ablesen lässt. Studententage, Studentenjobs, Studentenclubs, das Absolventenreferat, die Experten- und Fotografenliste der Pressestelle der TU Dresden – sind diese Bereiche und Bezeichnungen eine Herausforderung für Euch? Ist das Thema für die TU Dresden nicht wichtig genug?
Josefine Went: Ich habe wirklich das Gefühl, dass es diesen ganzen Diskurs unter den Dresdner Studierenden noch nicht gibt. Wenn man mit Kommilitoninnen und Kommilitonen vis-à-vis redet, hat man durchaus eine große Unterstützung für diese Pläne. Aber im Internet, bei Facebook und seinen Tausenden von wütenden Kommentaren steht man einer Masse von Menschen gegenüber und kann nicht viel ausrichten. Wir wollen das Klischee der nörgelnden Emanze nicht bedienen, aber das Thema ist uns wichtig, und wir wollen dafür einstehen! Ich komme aus Oldenburg, dort ist es völlig normal, dass gegendert wird. Ich bin damit aufgewachsen. Warum sollte das Thema an meiner Uni kein Thema sein?
Nora Kellner: Ich bin in Bayern in einem kleinen Dorf aufgewachsen. Wenn ich heute nach Hause komme und dort anfange zu gendern, werde ich schon komisch angeschaut. Aber da kann ich direkt mit den Menschen sprechen und argumentieren. Und inzwischen arbeite ich auch wissenschaftlich zu dem Thema.
Das interessiert mich: Würde eine solche Umbenennung nicht tatsächlich erst eine vorher genderblinde Bezeichnung geschlechtlich aufladen? Wenn die Pressestelle Journalistinnen und Journalisten eine Expertenliste zur Verfügung stellt, ist doch allen Beteiligten klar, dass das nicht nur männliche Gesprächspartner sind – das Geschlecht der Kontaktpersonen ist schlicht unwesentlich.
Nora Kellner: Das kommt aufs Themenfeld an. Ich gebe Dir recht, dass es Wörter gibt, wo wir einfach nicht darüber nachdenken. Aber wenn Du auf der Straße eine Umfrage machst und die Leute Dir zehn Schauspieler nennen sollen, werden vorrangig Männer genannt. Wenn wir von Studenten reden, ist eigentlich jedem klar, dass dabei an Studentinnen und Studenten gedacht wird. Aber es gibt zu viele Beispiele dafür, dass es eben nicht mitgedacht wird. Und ein spannender Fakt ist: Wenn man Grundschulkinder fragt, welchen Beruf sie mal ergreifen wollen, und die Berufsbezeichnungen gendert, trauen sich viel mehr Mädchen, traditionelle Männerberufe anzukreuzen, wollen beispielsweise Pilotin werden. Ich sage nicht, dass wir jetzt alle Leute zum Gender-Unterricht schicken sollten. Aber das Bewusstsein ist einfach oft nicht da. Wenn sogar weibliche Personen mich fragen „Was soll denn dieser Gender-Gaga?“, dann denke ich: Du bist doch auch eine Frau!
Ihr habt Euch in der Diskussion offenbar ein dickes Fell zugelegt.
Josefine Went: Allgemein stößt man als Gleichstellungsbeauftragte ja immer wieder an Grenzen, muss einfach mal tief einatmen. Trotzdem wissen wir, dass viele Menschen hinter uns stehen und uns unterstützen. Daraus kann man Kraft schöpfen.
Die TU Dresden beschäftigt eine Frauenbeauftragte, eine zentrale Gleichstellungsbeauftragte, weitere Gleichstellungsbeauftragte, deren Stellvertreter und Ersatzvertreter und an allen Fakultäten Koordinatoren für Gender Equality, eine Arbeitsgruppe Gleichstellung, eine Stabsstelle Diversity Management, Gender-Referenten bei Berufungen … Dennoch sagt Ihr, dass in den vergangenen Jahren an der TU Dresden im Bereich der Gleichstellung nichts wesentlich vorangegangen ist. Arbeiten diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter alle schlecht?
Josefine Went: Ja! Das ganze Thema ist an der TU Dresden später als an anderen Unis auf den Tisch gekommen. Ich bin jetzt zwei Monate im Amt, aber es scheint in vielen Bereichen eine Überforderung mit dem Thema vorzuherrschen. Ob das im Senat oder im StuRa ist: Man hat, meinem Gefühl nach, Leute in diese Positionen gesetzt und aufgeatmet, dass man damit ja etwas getan habe. Das beginnt sich zu wandeln. Für mich ist das schwierig, da die meisten von ihnen Dozierende sind. Da werde ich oft belächelt; mein Vorgänger war Theologieprofessor, jetzt bin ich da. Aber es tut sich etwas.
Haben sich an der Philosophischen Fakultät in der Zeit, als Dein Vorgänger dieses Amt bekleidete, in punkto Gleichstellung irgendwelche positiven Entwicklungen ergeben?
Josefine Went: Leider ist der Job des Gleichstellungsbeauftragten weniger, schöne Veranstaltungen und Diskussionen anzubieten, sondern meist sitzen wir in Berufungskommissionen. In meiner Legislatur gibt es mehr als zehn einzelne Verfahren, teilweise von 8 bis 20 Uhr. Da fallen dann, gerade wenn die Gleichstellungsbeauftragten Lehrende sind, weitere Projekte unter den Tisch.
Zusammengefasst: Tut die TU Dresden aus Eurer Sicht genug in Sachen Geschlechtergerechtigkeit?
Josefine Went: Die TU Dresden ist eine Exzellenzuniversität, die ihren Exzellenzstatus gern behalten möchte. Im Zuge dessen ist Gleichstellung ein Thema, das zunehmend behandelt werden muss. Ob die Beweggründe sind, dass man das Thema für wichtig erachtet, oder ob man im Wettbewerb um gute Professorinnen und Professoren einfach nicht zurückfallen möchte und es deswegen tut, sei dahingestellt. Ich glaube, die TU Dresden tut nicht genug – aber immerhin, sie tut etwas. Für viele Entwicklungen braucht es Anstöße. Und einer davon kommt jetzt eben von uns.
Interview: Martin Morgenstern
Foto: Amac Garbe
„Sprache schafft Wirklichkeit“?
Mal abgesehen davon, dass die Sapir-whorf Hypothese – also die Idee, dass „Sprache Denken macht“ und ergo Veränderungen in der Sprache auch das Denken und somit das Handeln verändern würden – eben nur eine, in letzter Zeit auch unter Fachleuten zunehmend verneinte, These ist, lehrt uns die Geschichte etwas ganz anderes: Nicht Sprache schafft Wirklichkeit, sondern Wirklichkeit schafft Sprache. Sprache spiegelt wieder, was bereits geschieht. Die in Klempereres LTI beschriebenen Veränderungen der Sprache liefen parallel zu den gesellschaftlichen Veränderungen, die von der Regierung gezielt gesteuert wurden. Die von ihm beschriebene Veränderung der Bedeutungen von Wörtern spiegelte die realen Veränderungen wieder und waren – für die scharfsinnigeren Geister – zugleich Warnung, wohin die Reise geht. Die Idee, dass eine „gerechtere“ Sprache die Realität gerechter machen kann, übersieht – vermutlich mangels historischen Wissens – dass so etwas 70 Jahre lang in der UdSSR und 40 Jahre in der DDR praktiziert wurde. Nur wurde dadurch kein „neuer“ besserer Mensch erschaffen, sondern im Gegenteil: je stärker die staatliche Bevormundung, die sich insbesondere in der Sprache spiegelte, wurde, umso größer die innere Abkehr von diesen Ideen.
Veränderungen entstehen, wenn die realen Lebensumstände von vielen Menschen als ungerecht und nicht mehr hinnehmbar empfunden werden. Nur dann können „Aktivisten“ den „unruhig gewordenen Strom“ aus seinem Bett in ein neues Bett „umleiten“. Das Thema gendergerechte Sprache, zählt für die meisten Menschen angesichts sozialer Ungerechtigkeiten, Umweltproblemen und Kriegen zu den sog. „Luxusproblemen“, mit denen sich eine im Elfenbeinturm lebende Kleinst-Minderheit mangels Relevanz echter Probleme in ihren Leben auseinandersetzt. Im Gegenteil: solche Ideen spaltet die große Menge der Unzufriedenen in immer kleinere Gruppen auf, die den gemeinsamen Nenner darüber aus den Augen verlieren und sich dann auf „Nebenkriegsschauplätzen“ gegenseitig bekämpfen. Im Endeffekt ist das nur eine Spielart des „teile und herrsche“. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, die Wahlmöglichkeit Beruf und Familien zu vereinbaren ohne „Rabenmutter“ zu sein (wie es in den 90ern im „Westen“ oft noch hieß) oder aber auch sich ganz der Familie zu widmen ohne als „Anhängerin des Patriarchats“ diffamiert zu werden, dass individuelle Befähigung für eine Sache wichtiger ist als gruppenbezogene Benachteiligung aber auch Bevorzugung – das sind echte emanzipatorische Anliegen, wo ein BinnenI mit oder ohne * nichts dran ändert.
Die Kosten sind auch nicht unerheblich. Große Unternehmen haben große Drucksachen auf Lager, die dann alle eingestampft und neu gedruckt werden müssen. Das Umstellen eines CD Konzeptes aufgrund Namensveränderungen ist auch eine aufwendige und teure Angelegenheit. Es ist etwas mehr nötig, als online eine paar Namen abzuändern. Die Kosten der Umbenennung des Berliner Studentenwerkes in Studierendenwerk betrugen mehr als eine halbe Million Euro. Nebenbei: Gelder aus Beiträgen von Studenten und staatlichen Zuschüssen, also Steuermitteln, die sicher sinnvoller verwendet hätten werden können. Auch für echte emanzipatorische Projekte, die den Lebensalltag real verändern. Sei es im Bereich Barrierefreiheit.