Wer sich unzählige Male an einer der 61-Haltestellen auf dem Campus die Füße vertreten und ungeduldig auf die Ankunft des erlösenden Busses gewartet hat, war ohne Zweifel unfreiwilliger Mithörer von zahlreichen Konversationen. Besonders bei Wind, Regen und Schnee kann sich die scheinbare Geborgenheit des Haltestellenhäuschens schnell als Zutritt zu einem abstrusen Live-Podcast herausstellen.
In solch einer Situation bin ich über eine Unterhaltung gestolpert, die ich in verschiedenen Abwandlungen schon gefühlt tausend Mal gehört habe. „Ich verstehe das überhaupt nicht. Wieso studiert man auch diesen ganzen geisteswissenschaftlichen Kram?“ „Keine Ahnung. Da weiß man sowieso schon von Anfang an, dass das nur Zeitverschwendung ist.“
Puh … Als Lehramtsstudentin für Englisch und Geographie erzeugen solche Aussagen bei mir nicht mal mehr ein genervtes Kopfschütteln, sondern nur eine gewisse Traurigkeit. In den verschiedensten Kontexten und Situationen bin ich dieser Meinung schon begegnet. Studierende der Geisteswissenschaften werden allzu oft belächelt und definitiv als nicht zukunftsorientiert gesehen, besonders von einer anderen Gruppe von Studierenden: denen in natur- und ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen. Normalerweise würde ich nicht zu solchen Stereotypen und Verallgemeinerungen greifen, aber leider entspricht dies doch ziemlich der Wahrheit. Ich möchte hier auch nicht die versammelten Studierenden dieser Fachrichtungen denunzieren, sondern einfach darstellen, dass diese Meinung hauptsächlich unter ihnen vertreten ist. Und zum eigentlichen Thema zurückkommen, das mich sehr traurig stimmt.
Denn eigentlich sollte allen Studierenden bewusst sein, dass unsere Gesellschaft sehr vielfältig und komplex ist. Aus diesem Grund ist es auch notwendig, dass Menschen in den verschiedensten Richtungen ausgebildet werden. Und das dementsprechend auch im Studium. Die Gesellschaft fordert die verschiedensten Ideen für alle Bereiche unseres Lebens.
Vielleicht steht einem oder einer Studierenden der Geisteswissenschaften nicht ein ähnlich gerader Berufsweg bevor wie einem Mediziner oder einer Medizinerin oder einem oder einer Lehramtsstudierenden. Aber die Möglichkeit, sich während und nach dem Studium zu orientieren und vielfältige Möglichkeiten zu haben, wird leider oft nicht gesehen.
Um die andere Seite dieser ewigen Diskussion aufzurollen, gibt es natürlich auch abwertende Stereotypen und Vorurteile gegenüber Studierenden der MINT-Studiengänge von Seiten aller anderen Studierenden. Wer kennt nicht das Klischee vom Elektrotechniker, der jeden Tag ein Flanellhemd trägt? Aber abgesehen von Vorurteilen gegenüber speziellen Fachrichtungen wünsche ich mir vielmehr, dass wir uns als Studierende gegenseitig akzeptieren und sehen, dass wir alle unterschiedliche Lebensziele und Interessen haben und wirklich jeder Studiengang seinen Wert für unsere Gesellschaft hat.
Text: Henriette Kurth
Foto: Amac Garbe