Nicht jedes Theater braucht eine Bühne. Nicht jeder Held einen Vorhang. In der Basis-Ausstellung der Puppentheatersammlung in Dresden, die seit September 2024 im Kraftwerk Mitte zu sehen ist, wird der Raum selbst zum Akteur – und Besucher:innen übernehmen die Rollen von Traumforscher:innen, die durch Schichten von Erinnerung, Vorstellungskraft und Material reisen.
Seit Anfang September 2025 steht diese Dauerausstellung im Dialog mit einem neuen Projekt: der Sonderausstellung „William Kentridge. Listen to the Echo“. Entworfen von Sabine Theunissen, kuratiert von Bronwyn Lace und in Teilen produziert von Studio Albert und Grzegorz Cholewiak, ist sie bis zum 30. Juli 2026 in der Puppentheatersammlung zu sehen. Kentridge greift darin mehrfach auf Objekte der Sammlung zurück und transformiert sie: Schattenfiguren aus dem Archiv erscheinen als monumentale Prozession, krokodilartige Handpuppen tauchen in ironischen Kontexten auf, und Szenen des „Theatrum Mundi“ werden in einen neuen Maßstab überführt. Obwohl die beiden Ausstellungen räumlich nah beieinanderliegen, handelt es sich um eigenständige Projekte – das eine als permanentes Forschungsfeld des Puppentheaters, das andere als kuratorisch-künstlerische Erzählung. Gerade durch diese Differenz entsteht ein leiser Dialog zwischen beiden Welten.
Im postindustriellen Gebäudekomplex des Kraftwerks Mitte, unter den rohen Stahlträgern des ehemaligen Elektrizitätswerks, entfaltet sich die Basis-Ausstellung als Ort, der die klassische Museumsformel bewusst verlässt. Statt einer statischen Anordnung von Vitrinen betreten die Besucher:innen ein kunstvoll konstruiertes Labyrinth, in dem jede Kreuzung und jeder Durchgang zu einem Spiel einlädt – einem Spiel mit Erinnerung, Material und eigener Fantasie.
Vom Archiv zum Forschungsraum
Der Ausgangspunkt war ein Konzept des niederländischen Büros Kossmanndejong. Studio Albert in Zusammenarbeit mit Grzegorz Cholewiak, verantwortlich für architektonische Gestaltung und Ausstattung, haben diese Idee umgesetzt und durch eine präzise räumliche Dramaturgie ergänzt. Schon im Eingangsbereich wechselt die Rolle des Publikums: Eine Figur namens Lotte spricht aus einem Fernseher und lädt ein, die Perspektive zu wechseln.
In der anschließenden Umkleide erhält man einen weißen Kittel und ein Formular – ab jetzt ist man nicht mehr bloße:r Betrachter:in, sondern selbst Forscher:in. Mit der Wahl einer von zehn Puppen, die sich nicht nur in Größe, sondern auch in Spielweise unterscheiden, beginnt eine persönliche Reise durch die Sammlung.
Industrielle Zartheit
Die Ästhetik dieser Reise ergibt sich aus dem bewussten Dialog mit der Architektur. Hohe Hallen, rohe Wände und freiliegende Stahlträger bilden ein raues Gerüst, das nicht kaschiert, sondern akzentuiert wird.
Im ersten Abschnitt, dem Dachboden, treten Möbelstücke aus dem alten Depot der Sammlung in der Dresdner Garnisonskirche als szenografische Elemente auf. Viele von ihnen wurden zu interaktiven Stationen umfunktioniert, oft mit einem Augenzwinkern: Ein Cellokasten birgt plötzlich eine Marionette, und über gerichtete Klangduschen hört man die Geschichten einzelner Figuren in intimen Klangräumen.
Sobald man in den Forschungsraum tritt, verändert sich die Atmosphäre spürbar. Weiß gerahmte Vitrinen mit schwarzem Innenleben lassen die Puppen wie Forschungsobjekte erscheinen. Das Licht führt durch verschlungene Wege, die sich zu einem kontrollierten Labyrinth formen – ein interaktiver Parcours durch reale und imaginierte Kulissen des Puppentheaters.
Spiel als Erkenntnismethode
Die Ausstellung gibt keine fertigen Antworten. Statt einer linearen Erzählung entfaltet sie sich in sechs ineinander übergehenden Zonen, die jeweils einen anderen Blick auf das Puppenspiel öffnen. Mal steht man „On Stage“ mitten im Rampenlicht, mal offenbart „The Stage“ die Architektur und Szenerie des Spiels. „In Front of the Stage“ thematisiert die Wahrnehmung durch das Publikum, während „Backstage“ die verborgenen Mechanismen und Werkstätten zeigt. „After the Stage“ erinnert an die Nachwirkungen einer Aufführung, und „For the Stage“ widmet sich den Materialien, Werkzeugen und Objekten, die das Spiel überhaupt erst ermöglichen.
Indem die Zonen nicht strikt getrennt sind, sondern atmosphärisch ineinanderfließen, entsteht ein Eindruck von Vielschichtigkeit, als ob das Puppentheater selbst aus Schichten von Vergangenheit, Gegenwart und Erinnerung bestünde.
So gleicht der Weg durch die Ausstellung einer Reise durch die Winkel der eigenen Vorstellungskraft. Holz, Stoffe und Schnüre scheinen noch die Echos vergangener Aufführungen in sich zu tragen, bereit, von Besuchenden neu entdeckt zu werden.
Praktische Informationen
Die Basis-Ausstellung der Puppentheatersammlung Dresden ist seit dem 7. September 2024 dauerhaft geöffnet. Besichtigt werden kann sie donnerstags und freitags von 14 bis 18 Uhr sowie samstags und sonntags von 10 bis 18 Uhr. Der Eintritt beträgt 7 Euro, ermäßigt 5 Euro, Gruppen ab 10 Personen zahlen 6 Euro, Kinder und Jugendliche unter 17 Jahren haben freien Zugang.
Die Sonderausstellung „William Kentridge. Listen to the Echo“ läuft bis 30. Juli 2026 in der Puppentheatersammlung. Parallel dazu zeigen die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden Arbeiten Kentridges im Albertinum (bis 4. Januar 2026) und im Kupferstich-Kabinett (bis 15. Februar 2026). Eintritt Albertinum: 14 Euro, 10,50 Euro ermäßigt; Kupferstich-Kabinett: 6 Euro, 4,50 Euro ermäßigt. Ein Kombiticket für alle drei Häuser kostet 20 Euro (ermäßigt 15 Euro).
Text: Grzegorz Cholewiak
Fotos: Amac Garbe
Transparenzhinweis: Der Text wurde vom Ausstellungsdesigner Grzegorz Cholewiak verfasst. Gemeinsam mit Studio Albert verantwortete er die architektonische Umsetzung und Ausstattung der Basis-Ausstellung der Puppentheatersammlung Dresden und war als Produzent an der Sonderausstellung „William Kentridge. Listen to the Echo“ beteiligt.

