Freiheit, die ich meine

So wie das gleichnamige Gedicht von Max von Schenkendorf gern für den einen oder anderen Zweck „gebraucht“ wird, so verhält es sich mit dem Freiheitsbegriff im Allgemeinen. Ein Begriff, der besonders in der heutigen Zeit unter Beschuss gerät. In einer Zeit, in der die eigene Freiheit nicht mehr dort aufzuhören scheint, wo die der anderen beginnen sollte. Wo sie im Gegenteil auf die Fahnen geschrieben wird, um die eigenen Interessen, die persönliche Freiheit durchzusetzen – gern in Verbindung mit Fake News, Unterdrückung anderer, Einschränkung demokratischer Grundrechte, ja Krieg.

So betonte auch Angela Merkel bei ihrer Lesung am 23. Juni im Deutschen Hygiene-Museum Dresden die Bedingungen der Freiheit. Sie kenne Hemmungen, Verantwortungsgefühl, demokratische Regeln eines Rechtsstaates, die nach innen und außen verteidigt werden. Doch dafür müsse sich jede:r engagieren. Freiheit gelte eben nicht nur für einzelne, sondern sie muss für alle gelten.

Sonderausstellung zur Freiheit

Die Lesung der Ex-Kanzlerin aus ihrem etwa 700-seitigen Buch „Freiheit“ war ein erster Höhepunkt im Rahmen der neuen Sonderausstellung „Freiheit. Eine unvollendete Geschichte“, die in der Woche zuvor eröffnet wurde. Und egal, wie man zur Politik Merkels steht, an diesem Abend wurde ihre besondere Qualität deutlich. Sie lockerte die Stimmung mit trockenen Bemerkungen auf und begann die Lesung mit Episoden aus ihrer Kindheit und Jugend, die wiederum einen deutlichen Bezug zum übergeordneten Thema hatten. Doch natürlich ging es auch um ihre politische Laufbahn, die mit der Wende begann. Und ebenjene spielt auch in der Ausstellung eine gewichtige Rolle. Denn Kern der Ausstellung sind die Freiheitsbewegungen in der ČSSR, der Volksrepublik Polen und der DDR vor 1989, die hierzulande in der friedlichen Revolution gipfelte – weil diese Nachbarländer eben eine ähnliche Entwicklung durchgemacht haben, die sich aber im Endeffekt doch etwas anders ausgewirkt hat, wie Kuratorin Dr. Viktoria Krason verrät.

Merkel jedenfalls schlug bei ihrer Lesung, wie man es von ihr gewohnt ist, sachliche, reflektierte, fast versöhnliche Töne an. Und das in einer Zeit, in der Politiker:innen bei jeder Gelegenheit loszupoltern scheinen, ohne sich wirklich mit Fakten zu beschäftigen. Merkel selbst sagte, sie hätte in aktiven Zeiten manchmal viel gesprochen und dabei wenig gesagt – und empfehle jetzt konkrete Antworten auf konkrete Fragen. Das sei heutzutage, da in den sozialen Medien Wahrheiten zu Lügen und Lügen zu Wahrheiten werden, besonders wichtig. Und in Zeiten eines „Informationsschocks“, wie Michal Novotný von der Nationalgalerie Prag, mit der das Hygiene-Museum für die Ausstellung kooperiert, es beschreibt.

Wege zur Freiheit

Zu den Kooperationspartnern gehört auch das Nationalmuseum Breslau, was schon darauf hindeutet, dass die Ausstellung u. a. auf Kunstwerke zurückgreift. Der Zugang zum Thema passiert auf zwei verschiedenen Ebenen. Zum einen wird das Handwerk der Freiheit beleuchtet, also wie sie erlangt werden kann – und das an den drei genannten Beispielen ČSSR, Volksrepublik Polen, DDR. Dabei geht es etwa um die Samtene Revolution, die Solidarność-Bewegung oder auch künstlerische Aktionen in der DDR, etwa die Körperinszenierungen der Erfurter Künstlerin Gabriele Stötzer.

Auch das Thema Flucht als Form der Befreiung wird thematisiert – und Migration. Damit wird eine Brücke in die Gegenwart geschlagen. Die Berliner Künstlerin Tracey Snelling hat dafür eine Installation geschaffen, die aus migrantischer Sicht auf die Stadt Dresden blickt. Wo fühlen sich Menschen, die nicht hier geboren wurden, wohl? Wo finden sie ein neues Zuhause? Und wo bestehen Unsicherheiten? Die Künstlerin hat dafür ihre Sicht auf Dresden in eine Art Stadtmodell verpackt. Zeit, die Stadt mit neuem Blick zu entdecken.

Symbole der Freiheit

Die Kunstwerke eröffnen die zweite Ebene der Ausstellung, die der Zeichen der Freiheit. Wie etwa die symbolträchtige Freiheitsstatue, die verschiedene Bedeutungsebenen hat: eine verheißungsvolle Zukunft für die ankommenden Siedler:innen aus Europa. Der Traum von Freiheit. Aber sie steht eben auch für Kolonialismus und die Verdrängung und Ermordung der indigenen Bevölkerung. Eine Ebene, die in der Ausstellung durch den begleitenden Audioguide mit persönlichen Perspektiven eröffnet wird.

Zeitgenössische Kunstwerke weiten den Blick in die Gegenwart und Zukunft. Denn selbst wenn die Freiheit vermeintlichen Wohlstand verspricht: Wie frei sind die Menschen wirklich, wenn sie sich den Wohlstand nicht leisten können? Wenn eine immer größere Ungleichheit entsteht und die Freiheit des einen die der anderen beschneidet? Oder wie es die Kurator:innen Dr. Viktoria Krason und Philipp Bürger in den einführenden Worten der begleitenden Publikation zur Ausstellung benennen: „Ein radikal individualistisches Verständnis von Freiheit mit autoritären Zügen ist dabei in den Vordergrund gedrängt worden: Frei zu sein bedeutet demzufolge, uneingeschränkte Handlungsmöglichkeiten zu haben, sich nichts vorschreiben zu lassen und durch keinerlei Hindernisse oder Regeln eingegrenzt zu sein. Dieser aus einem individualistisch-materialistischen Menschenbild abgeleitete libertäre Freiheitsbegriff entstammt der wirtschaftspolitischen Ideologie des Neoliberalismus. Mit ihm ist eine kompromisslose Haltung verbunden, die sich gegen jene gesellschaftlichen Gruppen oder staatlichen Institutionen richtet, die den eigenen Freiheitsanspruch vermeintlich zugunsten der Solidarität mit anderen einschränken.“ Das ist die Freiheit, die einige Menschen meinen. Freiheit für alle muss eben immer wieder erkämpft werden.

Die Sonderausstellung des Hygiene-Museums ist bis zum 31. Mai 2026 zu sehen: Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr. Eintritt zwölf Euro, ermäßigt sechs. Freitags ab 15 Uhr 50 Prozent Rabatt. Der Ausstellungskatalog kostet 20 Euro.

Text: Nadine Faust

Fotos: Amac Garbe

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