Campuskolumne

Es war einmal ein armer, einsamer König, dessen einzige Freude im Leben sein großer, herrschaftlicher Garten war. Nach einigen Jahren, in denen die schlechten Zeiten die guten überholt hatten, hatte der Garten einiges an seiner Schönheit eingebüßt. Ratten hatten an den Wurzeln der Gebüsche geknabbert, Blumen waren verdorrt zu Boden gesunken und Unkraut wucherte überall. Lange hatte der König nichts in seinen Garten investiert und seinem alten, gebrechlichen Hofgärtner die Arbeit ganz allein überlassen. Die vielen Gärtner und Botaniker, die nötig gewesen wären, um gegen die Ratten und das Unkraut anzukämpfen und neue Blumen zu pflanzen, konnte sich der König nicht leisten.

Als er nun aber den Zustand des Gartens sah, beschloss er, etwas zu tun. Nach langem Überlegen entschied er sich, das wenige übrige Geld in ein starkes Unkrautgift zu investieren, mit dem der alte Gärtner von nun an täglich jene Stellen behandeln sollte, an denen das Unkraut am heftigsten wuchs. Der alte Gärtner hegte ein gesundes Misstrauen dem Gift gegenüber, dessen Duft ihn schwindelig machte, wenn er es über die Pflanzen sprühte. Dem König gegenüber äußerte er seine Bedenken jedoch nicht, denn er fürchtete dessen Unmut. Und ohnehin – wie wunderbar war es, die alten, klapprigen Knie nicht länger zum Unkrautjäten und Blumenpflanzen auf den harten, dreckigen Boden beugen zu müssen!

Der Gärtner erfüllte seine Aufgabe gewissenhaft und sprühte täglich alles Unkraut im Garten mit dem Gift ein. Nach einem Jahr war der Garten zwar, wie der Gärtner dem König stolz verkündete, frei von jeglichem Unkraut – aber auch die Blumen, Gräser und Schmetterlinge waren verschwunden. Aus dem herrschaftlichen Garten war ein Stück tote Erde geworden, aus der selbst die Würmer geflohen waren.

Parabeln sind kleine Wunder: Aus sperrigen Begebenheiten wie dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz machen sie Geschichten, die jeder versteht. Und gar so weit weg von der Realität ist das Bild von der demokratischen Kultur als einem Garten, der gehegt und gepflegt werden muss, gar nicht. Die deutsche demokratische Kultur hat momentan braune Blätter, Sturmböen und Hagel haben einiges entwurzelt und verwüstet. Der König hat das schon richtig erkannt: Es muss etwas getan werden. Aber er hat das falsche Gegenmitteln dem falschen Gärtner zur Hand gegeben.

Wenn jeder, der durch den Garten geht – all die GärtnerInnen, BäckerInnen, Bediensteten, Bauern und Bäuerinnen, LehrerInnen und GastwirtInnen – nur eine einzige Blume in den Garten pflanzen würden, würde er bald wieder in seiner alten Schönheit strahlen. Zwischen vielen bunten Blüten fällt ein bisschen Unkraut nämlich gar nicht auf. Entscheidungen aber wie das Ja zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz sind Gift für eine demokratische Kultur. Sie verändern den Garten und machen ihn zu einem dieser Schulhöfe aus Beton, auf denen wir uns früher so oft die Knie blutig geschlagen haben. Das Blut bemerkte man meistens erst, wenn man später die Flecken auf der Hose sah. So lange dürfen wir diesmal nicht warten.

Text: Alisa Sonntag

Foto: Amac Garbe

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