Mekka mit Schaumkrone

Bier, Supermarkt, Zugverbindung: Radeberg ist ein wahres Mekka für Studierende. Nicht. Teil eins unserer Stadt-(teil-)serie.

Studierende sind komisch. Da wird geklagt über eine teure, enge, volle, gentrifizierte Neustadt, die auch nicht mehr ist, was sie mal war, und überhaupt auf dem absteigenden Ast. Gleich bricht er. Doch kein einziger verwegener Blick wandert gen Heide, dort, wo 200 Meter höher und 20 Kilometer weiter nördlich die wohl bekannteste 18.383 Einwohner zählende (Bier-)Stadt Deutschlands liegt: Radeberg.

Die Reise in die neue Heimat beginnt am Dresdner Hauptbahnhof. Dort offenbart bereits der Blick auf den Zugfahrplan: Radeberg ist die coolste aller Speckgürtelstädte. Während die S-Bahn nach Pirna oder Meißen popelige zweimal pro Stunde fährt, verkehren Trilex und Städtebahn, für die selbstredend das Semesterticket zählt, dreimal stündlich zwischen Radeberg und Dresden. 24 Minuten braucht der Zug gen Bierstadt — macht 50 Minuten am Tag, die man weniger in der SLUB verbringen muss: Facebook checken kann man schließlich auch im Zug (wenn man zufällig Empfang hat). Da ist es sogar hell! Doch wichtiger als die Verbindung zwischen Uni und Wohnung ist ohnehin die zwischen Wohnung und Vergnügen. Am Bahnhof Neustadt ist man ab Radeberg in einer harmlosen Viertelstunde — schneller ist die Tram 3 vom Nürnberger Platz auch nicht. Zugegebenermaßen fährt die aber auch nach Mitternacht.

Aber der Neu-Radebergende braucht die Neustadt ohnehin nicht: Gegen Radeberg können Pseudo-Szenestädte wie Berlin oder Leipzig einpacken. Schon der Bahnhof empfängt mit einem Hauch Lebendigkeit: Neben Zeitungsladen, Frauenfitnessstudio und Pizzadienst beherbergt die Bahnhofshalle (Achtung: Schließt 19 Uhr!) auch mehrere Hinweisschilder auf die „Einkaufsstadt Radeberg“ mit „über 100 Läden“. Im nahen Stadtzentrum beginnt sie dann, die Shoppingtour à la Radeberg: Tagsüber trifft man sich mit beigen Rentnern zum Wehwehchen-Plausch in der Apotheke, formt beim Seniorenyoga im Fitnessstudio die „göttliche Antenne“ und frönt der Einkaufslust in einem von neun Supermärkten, im Baumarkt und im Elektrofachgeschäft (in dem man sogar blöd sein darf). Nicht nötig zu erwähnen, dass man auch Kettensägen, Unterwäsche und Winkekatzen kaufen kann.

Sogar für digitale Nomaden ist gesorgt: Beim Mühlenbäcker gibt’s schnelles WLAN und schlechten Kaffee. Den Frust darüber vergisst man abends: Wenn nicht gerade eins der Kinos einen Film bringt — was in etwa so häufig ist wie die Papstwahl —, hat man die Wahl zwischen  nichts, nichts und nichts. Langweilig finden das freilich nur voreingenommene Großstadtfetischisten. Vielmehr sind Nächte in Radeberg besser als jedes Yoga-Retreat: Keine Wahl, keine Qual. Und so ein Bierchen auf der Kohlrabiinsel ist sicher auch nett. Die ist eigentlich ein Park mit Teich und verdankt ihren Namen übergroßen Kohlrabis, die dort gezüchtet und auf dem jährlichen Kohlrabiinsel-Fest gekürt werden. Doch auch außerhalb des Festzelt-Rausches tummeln sich auf dem Eiland, das keines ist, von Zeit zu Zeit Eingeborene. Eine gute Gelegenheit also, sich gleich mit ihnen vertraut zu machen. Aber Vorsicht: Der gemeine Radeberger hegt eine ureigene Skepsis gegenüber Menschen, die nicht aus einer Bierstadt kommen. Lieber als Zeichen des Friedens den Radeberger Chic übernehmen: Basecap mit Radeberger-Logo, Jacke mit Radeberger-Logo, Auto mit Radeberger-Logo. Bier in der Hand nicht vergessen!

Die schlechte Nachricht: Das war kein Scherz. Die gute Nachricht: Der Radeberger Chic ist auch in Radeberg nicht allzu verbreitet. Kein Wunder, bekommt doch der Ur-Radeberger mehr und mehr Konkurrenz. Die Bierstadt Radeberg ist seit einiger Zeit auch eine Boomstadt: Die Nähe zu Dresden und zum Wald, kombiniert mit freiem und erschwinglichem Wohnraum, ziehen viele Familien und Pendler in die Stadt. Jedes freie Fleckchen wird bebaut — fast. Immer wieder wurden Stimmen laut, das ruinöse Eschbach-Areal direkt am Bahnhof doch in ein florierendes Studierendenviertel zu verwandeln. Sogar eine TU-Außenstelle für Lebensmitteltechnologie hält manch einer für vorstellbar, sitzen doch in Radeberg und Umgebung zahlreiche Lebensmittelproduzenten. Allein: Derlei Pläne sind bisher stets einsam und alleinsam im altehrwürdigen Ratssaal zurückgeblieben. Radeberg will die Studierenden nicht. Wie Du mir, so ich Dir.

Text: Luise Martha Anter

Foto: Amac Garbe

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