Campuskolumne

Wohnt man in links-grün-versifften Vierteln Dresdens wie der Neustadt, die als kleiner Kosmos für sich völlig ausreicht, um alle essentiellen und kulturellen Bedürfnisse eines Stadtkindes zu befriedigen, vergisst man manchmal, dass Dresden immer noch Pegida-Hauptstadt ist. Solange man am Montagabend nicht gerade auf der Altstadt-Seite zu tun hat, meidet man dieses montägliche Dunkeldresden. Besorgte Bürger, besorgte Mütter, besorgte „Christen“, besorgte „Nationalromantikerinnen“ – sie alle warten auf dem Theaterplatz. Sie warten darauf, dass sich Deutschland „entislamisiert“. Oder warten sie auf den Einzug der AfD in den Bundestag, oder gar darauf, dass Petry, Gauland oder wer auch immer Deutschland als Kanzlerin oder Kanzler wieder „great“ macht. Wahrscheinlich wissen sie selbst nicht, worauf sie eigentlich warten. Auf jeden Fall sollen die „Flüchtlinge“ weg und syrische Kunst brauche man in Dresden auch nicht.

Doch wer etwas gegen Geflüchtete hat, kann auch genauso gut CDU oder SPD wählen. Die Regierungsparteien bewahren schließlich seit Jahr und Tag die Festung Europa, vor deren Toren jeden Tag unzählige Menschen auf der Flucht ertrinken oder auf andere Weise sterben. Und der Europäische Gerichtshof tat gestern sein Übriges, um eine legale Einreise von Gefährdeten zu verhindern. Die Kritiker_innen der Aufnahme von Geflüchteten sehen jedoch nicht die Gefahr, derer die Asylsuchenden ausgesetzt sind, sondern sie sehen in ihnen selbst eine Gefahr. Man blicke nach Ungarn. Derzeit halten sich in Ungarn etwa 600 Geflüchtete auf. Die, die noch kommen, sollen fortan in Container nahe der Grenze zu Serbien gesperrt werden. Vor ein paar Tagen hat Herr Orbán mehr als 450 Grenzpolizist_innen mit den Worten, Migration sei „das trojanische Pferd des Terrorismus“, vereidigt.

Aber zurück nach Deutschland: Wir haben Glück, dass wir in einem Land leben, das demokratisch regiert wird. Wenn man auch manchmal das Gefühl hat, dass die sogenannten „etablierten“ Parteien sich kaum in ihrer Politik unterscheiden, so peinlich es auch ist, dass sich die SPD erst kurz vor dem Bundestagswahlkampf wieder an soziale Gerechtigkeit erinnert und daran, dass man mit der Durchsetzung der Homo-Ehe Wähler_innen gewinnen kann, so wichtig ist es, dass wir uns schon frühzeitig mit der Frage befassen: Wie wollen wir leben? Wem traue ich es zu, meine Sorgen und Probleme ernst zu nehmen? Wem erteile ich die Aufgabe, für mein Wohlergehen, das meiner Familie und Freund_innen und auch meiner Mitmenschen in Europa und auf der ganzen Welt zu sorgen?

Deshalb nehme ich mir vor, bis zur Bundestagswahl am 24. September, alle Parteiprogramme zu lesen und zu prüfen, auf dass endlich eine mündige Bürgerin aus mir werde. Vielleicht tut es mir der eine oder die andere ja gleich. Aber die Parteiprogramme bitte nicht ausdrucken – ist schlecht für die Umwelt!

Text: Marie-Therese Greiner-Adam

Foto: Amac Garbe

Ein Gedanke zu “Campuskolumne

  1. Der Wahl-o-Mat ist ein nicht zu unterschätzendes Werkzeug. Es erspart einem das lesendurchforsten der juristisch korrekt formulierten Wahlprogramme und bringt auf den Punkt, was man eigentlich wissen will.

    Obwohl ich mich politisch wohlinformiert und in meiner Wahlentscheidung einigermaßen gefestigt einschätze, nutze ich ihn vor jeder anstehenden Wahl. Manchmal tauchen in den Ergebnissen sogar Überraschungen auf.

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